Wandel gestalten statt verwalten. Ein Gastbeitrag von Dr. Philipp Frank.
Veränderung ist im öffentlichen Sektor längst kein Ausnahmezustand mehr – sie ist zum Dauerauftrag geworden. Wer Verwaltungen heute zukunftsfähig aufstellen will, muss bereit sein, Gewohnheiten zu hinterfragen, Routinen zu durchbrechen und neue Formen der Zusammenarbeit zu etablieren. Stabilität und Wandel dürfen dabei keine Gegensätze sein. Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftliche Erwartungen, Digitalisierung und Fachkräftemangel die Verwaltung fordern, entscheidet sich an der Veränderungsbereitschaft, ob der Staat als gestaltende Kraft wahrgenommen wird – oder als Bremser.
Tradition trifft Transformation
Die Verwaltung lebt von Kontinuität, Rechtssicherheit und Verlässlichkeit – Werte, die zurecht hochgehalten werden. Doch genau diese Stärken können zum Hindernis werden, wenn sie Veränderungen blockieren. Viele Strukturen stammen aus einer Zeit, in der Planbarkeit und Ordnung die obersten Prinzipien waren. Heute brauchen wir ergänzend eine Kultur, die Mut, Eigeninitiative und Anpassungsfähigkeit belohnt.
In meinen Jahren als Oberbürgermeister einer großen Kreisstadt mit rund 500 Beschäftigten und einem Etat von über 80 Millionen Euro habe ich erlebt, wie stark dieser Spagat zwischen Stabilität und Veränderung in der Praxis ist. Einerseits braucht eine Kommune Verlässlichkeit in ihren Prozessen, andererseits müssen Entscheidungen oft unter enormem Zeitdruck und politischer Beobachtung getroffen werden. Wandel lässt sich dort nur gestalten, wenn man ihn als kontinuierlichen Prozess versteht – nicht als Ausnahme.
Strukturen, die Wandel bremsen
Wer Veränderung im öffentlichen Sektor vorantreibt, merkt schnell: Nicht der Wille der Menschen ist das größte Hindernis, sondern oft die Struktur, in der sie arbeiten.
Hierarchien, Zuständigkeitsgrenzen und Verfahrenslogiken sind über Jahrzehnte gewachsen – mit dem Ziel, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Gleichbehandlung zu sichern. Diese Prinzipien sind unverzichtbar, doch sie führen auch zu einer organisatorischen Trägheit, die Reformen verlangsamt.
Ich habe durchaus mehrmals die Erfahrung machen müssen, dass Projekte nicht an der Idee scheiterten, sondern an den Mechanismen des Systems. Eine Ausschreibung kann Monate dauern, eine Personalentscheidung hängt von oft mehreren Gremien ab, und jeder Ressortwechsel zieht neue Zuständigkeitsfragen nach sich. Solche Abläufe garantieren Fairness, aber sie hemmen Geschwindigkeit und Eigenverantwortung.
Dazu kommt die Logik politischer Zyklen: Veränderung braucht langfristige Strategien, während Wahlperioden kurzfristige Prioritäten setzen. Wer als Verwaltung langfristig denkt, muss deshalb doppelt überzeugen – sachlich und politisch.
Trotzdem sollten wir die Strukturen nicht als Ausrede benutzen. Sie sind gestaltbar – Schritt für Schritt, Prozess für Prozess. Organisationsentwicklung bedeutet hier vor allem, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Flexibilität ermöglichen, ohne den Rechtsstaat zu gefährden.
Führung als Hebel für Veränderung
Veränderung beginnt nie mit einer neuen Struktur, sondern mit Haltung. Führungskräfte sind die entscheidenden Treiber für Kulturwandel. Sie müssen Orientierung geben, Vertrauen schaffen und den Mut haben, Verantwortung zu teilen. Wichtig dabei auch der Dialog zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Politik. In der Verwaltung bedeutet das: weniger Anweisung, mehr Beteiligung; weniger Kontrolle, mehr Kooperation.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Veränderung vor allem dann gelingt, wenn sie verstanden, erklärt und mitgetragen wird. Kommunikation spielt dabei eine Schlüsselrolle: Sie schafft Transparenz, Vertrauen und Beteiligung – drei Grundpfeiler jedes Veränderungsprozesses.
In meiner Amtszeit habe ich daher großen Wert auf den Dialog gelegt – sei es bei der Digitalisierung der Verwaltung, bei großen Infrastrukturprojekten oder bei der Neuausrichtung kommunaler Beteiligungen. Die Beschäftigten frühzeitig einzubeziehen, schafft Akzeptanz und verhindert Blockaden.
Ein Beispiel war der stadtweite Breitbandausbau, den wir nur deshalb erfolgreich realisieren konnten, weil wir technische, organisatorische und kommunikative Aspekte parallel dachten. Veränderung darf nicht top-down verordnet, sondern muss als gemeinsame Aufgabe verstanden werden.

Digitalisierung ist kein Technik-, sondern ein Kulturprojekt
Die digitale Transformation wird oft als IT-Projekt missverstanden. Tatsächlich ist sie ein Organisationsentwicklungsprozess. Technologie allein schafft keine Effizienz, wenn Denkweisen, Schnittstellen und Zuständigkeiten unverändert bleiben.
In meiner politischen Zeit haben wir zentrale Verwaltungsprozesse digitalisiert und gleichzeitig die interne Zusammenarbeit neu organisiert. Dabei zeigte sich: Der technische Fortschritt ist vergleichsweise leicht umsetzbar – die eigentliche Herausforderung liegt in der Haltung der Menschen. Digitalisierung verlangt Offenheit, Lernbereitschaft und die Bereitschaft, Fehler zuzulassen.
Ich bin überzeugt, dass Verwaltungen erst dann wirklich digital werden, wenn sie auch kulturell bereit sind, agil zu arbeiten, Wissen zu teilen und Verantwortung zu delegieren.
Mut, Haltung und Realismus
Organisationsentwicklung im öffentlichen Sektor braucht Mut zur Lücke – zur bewussten Abkehr von der Idee, alles bis ins Detail planen zu können. Transformation bedeutet, Unsicherheit auszuhalten, Verantwortung zu teilen und Entscheidungen iterativ zu treffen.
In meiner Laufbahn – sei es als Führungskraft in Industrie- und Handelskammern, als Kommunalpolitiker oder als Verwaltungschef – habe ich erlebt, dass Wandel nur dann gelingt, wenn er aus Überzeugung getragen und gut kommuniziert wird. Nicht alle Veränderung ist populär, nicht jede Maßnahme wird sofort verstanden. Aber wer langfristig gestalten will, muss bereit sein, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und sie transparent zu begründen.
Der öffentliche Sektor kann Wandel, wenn er will und darf
Der öffentliche Sektor hat alle Voraussetzungen, um Transformation zu meistern: Fachlichkeit, Erfahrung und gesellschaftliche Legitimation. Was oft fehlt, ist die strukturelle und kulturelle Freiheit, diese Potenziale zu nutzen. Veränderung braucht Menschen, die sie vorantreiben – und Strukturen, die sie zulassen. Ich bin überzeugt: Verwaltung kann Wandel – wenn sie ihn nicht verwaltet, sondern gestaltet. Dazu gehören Führung mit Haltung, Strukturen mit Spielraum und eine Kultur der Kommunikation und des Vertrauens. Nur dann wird aus Verwaltung wieder das, was sie im besten Sinne sein kann: eine gestaltende Kraft für gesellschaftlichen Fortschritt.
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